Danke Oma
Ich fühle mich sehr privilegiert, weil ich mit meinen Großeltern groß geworden bin. Meine beiden Omas und mein Opa begleiten mich noch heute auf meinem Weg und dafür bin ich mehr als dankbar. Meine Großeltern haben mir viel beigebracht und unterstützen mich immer – sowohl finanziell als auch emotional. Ich kann mich immer auf sie verlassen. Als ich in der Grundschule war, ging ich nach der Schule oft zu ihnen, machte dort meine Hausaufgaben und verbrachte viel Zeit mit ihnen. Sie haben mir beigebracht, dass man auf sein Geld aufpassen muss. Nicht verschwenderisch leben und bitte keine Schulden machen sollte.
Ich muss zugeben, der Kommandoton meiner Oma in der Küche hat mich das ein oder andere Mal in den Wahnsinn getrieben.
Nur der eine Weg ist richtig, der meiner Oma, alles andere ist grundsätzlich falsch. Ich sollte für eine Familienfeier Omas Kirsch-Streusel-Kuchen backen. Das war für mich nicht das erste Mal, ich wusste also, was zu tun ist. Also find ich an die Zutaten für den Teig zusammenzuschütten. Mehl, Zucker und Butter in eine Schüssel und dann kräftig kneten. Bevor ich anfangen kann zu kneten kommt meine Oma rein und ist ganz entsetzt: Was machst du denn da?!?! – Ähm, ich backe den Kuchen? – Aber du kannst doch nicht alles zusammen vermengen. Du musst erst die Butter verrühren, dann das Mehl untergeben und danach den Zucker dazugeben. – Oma, ich habe diesen Kuchen schonmal genau so gebacken und es hat hervorragend funktioniert. – Ne, Janine. Das kannst du so nicht machen.
Und in einem Ton… richtig vorwurfsvoll. Als wäre ich der Dümmste Mensch der Welt. Die Situation hat mich so unfassbar wütend gemacht. Ich soll ihr helfen beim Backen und dann werde ich so blöd von der Seite angemacht? Entweder, sie lässt mich den Kuchen so backen wie ich das nun mal mache, oder sie muss es selber machen.
Seitdem ich dieses Buch schreibe, verstehe ich allerdings den Kontrollzwang meiner Oma in der Küche und weiß, warum sie sich so verhält. Warum es für sie nur diesen einen Weg gibt, alles andere bringt sie aus der Fassung. Jetzt, wo ich das verstehe, kann ich mit ihren kleinen Eigenheiten viel besser umgehen. Frage sie immer, wie ich was machen soll und lasse mich sogar gerne von ihr herumkommandieren. Unvorstellbar noch vor ein paar Monaten.
Meine andere Oma brachte mir beispielsweise bei, sich nicht abhängig zu machen von irgendjemandem. Immer alles selber zu machen. Selbstständig zu bleiben und sich nicht zu sehr auf andere zu verlassen.
Meine Oma hat über 30 Jahre meinen Opa gepflegt.
Er bekam bereits mit Anfang 30 die Diagnose MS. Multiple Sklerose. eine chronisch-entzündliche Krankheit, die das zentrale Nervensystem betrifft und zu Behinderungen führen kann. Die Autoimmunkrankheit kann sehr unterschiedlich verlaufen. Deswegen wird sie auch die Krankheit mit tausend Gesichtern genannt.
Ab der Diagnose war jedenfalls klar: Meine Oma muss (noch) mehr Verantwortung übernehmen. Heute kann man die Krankheit, bei einer frühen Diagnose, mit Medikamenten gut im Schach halten und die charakteristischen Schübe hinauszögern. All das gab es damals nicht. Schnell konnte mein Opa seine Arme und Hände nicht mehr richtig benutzen. Saß irgendwann im Rollstuhl, bekam einen Katheter. Konnte sich nicht mehr selber waschen. Statt eine Pflegekraft zu engagieren, machte meine Oma alles selber. „Die haben doch alle keine Ahnung.“ Sie pflegte meinen Opa aufopferungsvoll, bis er zu Hause einschlief und nicht mehr aufwachte.
Mein Buch ist auch eine Chance meinen Omas etwas zurückzugeben.
In dem ich ihre Geschichten erzähle und anderen zeige, wie stark die beiden sind. Egal, welche Hürden das Leben für sie parat hatte, und das waren wirklich viele und sehr hohe, sie haben die Herausforderung auf ihre ganz persönliche Art und Weise gemeistert. Das finde ich so unendlich bewundernswert. Ich habe das Gefühl, dass sie gar nicht wissen, was sie schon alles in ihrem Leben gemeistert haben. Dass viele an den Herausforderungen gescheitert wären. Daran zerbrochen wären und irgendwann resigniert hätten. Nicht aber meine Omas. Sie haben sich nie unterkriegen lassen und sind meine größten Vorbilder.